Interview
1. Ihre Skulpturen sind aus Beton, ist das Material Ausdruck Ihres künstlerischen Strebens?
Genauer gesagt eine Mischung aus Zement/Mörtel und Eisen – beides Materialien, deren Erforschung mir Grenzen aufzeigen. Wir stossen im Leben immer wieder auf Widerstand, deren Ergründung in unserem eigenen Dasein zu finden ist. Sowohl Zement wie auch Eisen lassen sich formen, ab einem gewissen Punkt nur noch mit Widerstand bis zur vollumfänglichen Erstarrung. Bei der Bearbeitung meiner Materialien ist mir Widerstand wichtig, erst dann ist man in der Lage, seine Grenzen zu finden und zu erforschen, was darüber hinaus auch noch möglich ist.
2. Welches Sinnbild liegt Ihren Skulpturen zu Grunde?
Das Sinnbild selber. Meine Werke bauen auf Formen auf, deren Ursprung beim offenen Gang durchs Leben zu finden ist. Reduziert auf Symbole im Leben, die jeder Betrachter wiederum eigens erlebt und gelernt hat, bilden sie den Ursprung meiner Werke. Grundlegend bildet also das Leben den Grundstein meiner Arbeiten. Was wir sehen, spüren oder hören erscheint in Formen in meiner Arbeit. Oft sieht das der Betrachter nicht auf Anhieb, aber das Unterbewusstsein spürt die zu Grunde liegenden Symbole, bzw. Formen.
3. Vielen Ihrer Skulpturen weiblichen Erscheinungsbildes ist die Gebärde eigen, drückt dies das künstlerische Credo aus?
Viele meiner Arbeiten beruhen auf dem weiblichen Symbol, aber nicht ausschliesslich. Sie sind neutral und entsprechen nicht zwingend einem sexuellen Ideal. Jeder Betrachter sieht sein Ideal dort, wo er sein Betrachtungszentrum setzt. Ob dies form-, farb- oder materialbedingt ist, entscheidet er selbst. Entsprechend baut mein künstlerisches Credo nicht auf dem Kampf der Geschlechter auf, sondern mehr auf dem zentralen Wert eines Jeden, dem Leben und seinen Erfahrungsschätzen.
4. Vorwiegend bringen Ihre Skulpturen das Begehren zum Ausdruck, sieht das der Beschauer nur hinein oder ist dies künstlerisches Streben?
Dem Betrachter steht offen, Überlegungen anzustellen. Primär versuche ich meine Werke so zu gestalten, dass sie das Unterbewusstsein des Betrachters erreichen – ohne sich anstrengen zu müssen. Erst im zweiten Anlauf kommen die Gedanken ins Spiel. Wenn gelebte Symbolwerte auf tatsächliche Gedanken treffen, wird es spannend. Hier öffnen sich Wege für neue Ideen.
5. Je intensiver das Einlassen auf Ihre Skulpturen ist, desto mehr vermischen die Geschlechtsaspekte, hier weiblich, da männlich, die Form, ist dies Ihre künstlerische Philosophie oder Ausdruck eines anthropologischen Wandlungsprozesses dem wir allgemein erliegen?
Hier liegt meine künstlerische Philosophie offen ausgestellt. Meine Arbeiten beruhen auf neutralen, von Geschlechtsaspekten befreiten Formen. Sie werten nicht und definieren sich je nach Betrachter selber. Ich gebe nichts vor, erwarte auch keinen Wert retour. Die nackten Erfahrungen im Leben beantworten in der Regel sämtliche Fragen, die sich der Betrachter stellt. Heutzutage wird jedem die Freiheit geraubt, sich in den Gedanken freien Lauf zu lassen. Meinungen und Bilder werden einem aufgezwungen, obwohl man sich in seiner eigenen Welt bewegt. Und genau dagegen ‚wehre’ ich mich und lasse jede und jeden in seinem eigens erbauten Konstrukt des Lebens.
6. Ein Aspekt Ihrer Skulpturen scheint zu sein, dass sie in die Welt blicken, die ihnen fremd ist, d.h. ihr Sein ist nicht identisch mit dem Sein der Welt, wie verstehen sie dies?
Es ist meine Wahrnehmung von meinem Betrachtungspunkt aus gesehen, aber sie ist nicht fremd. Jeder darf sich seine Meinung selber formen, solange er in Betracht zieht, dass sein Betrachtungswinkel ein anderer ist. Ein bunter Blumenstrauss in der Tischmitte sieht von allen Seiten anders aus. Dazu kommt nebst der Form auch Farbe und Material – der Betrachtungswinkel in Kombination mit Geschmack und Erfahrung ergibt bei jedem eine eigene Mischung.
7. Im Wechsel zu Ihrer skulpturalen Arbeit konfigurieren Sie den Mythos Ihrer Figuren auch auf Leinwand, hierbei konturieren sie die Linie zur Form der mythischen Figur, die an archaische Idole erinnert. Die Figur ist hierbei gelöster, weniger statisch-monumental, ist der Wechsel auch die Modifikation Ihrer künstlerischen Aussage?
Allein die arbeitstechnische Gegebenheit der Bildbearbeitung gibt den Figuren mehr Möglichkeiten zu leben. Wenn ich mich bei der skulpturalen Arbeit vor allem auf Zement und Eisen konzentriere, spielt im bildnerischen Bereich Material, Technik und Farbe eine viel grössere Rolle. So zum Beispiel arbeite ich vor allem auf bearbeiteten Holzplatten bei meinen Arbeiten, damit auch hier der Widerstand seine Grenzen aufzeigt – kratzen, beissen und stossen statt Öl, Eitempara und Aquarell. Meine Werke bekommen erst dann Wirkung und Kraft, wenn auch hier Grenzen zum Vorschein kommen.
8. Wenn Ihr Werk geschlossen in Erscheinung tritt, tritt auch das Monument ihres Themas unverbrüchlich hervor, überfällt Sie nicht mitunter Angst, diesem immer wieder gerecht zu werden?
Ich betrachte bereits die Zeit als eine Form. So kommt es, dass auch hier ständig neue Ideen entstehen. Der Prozess lebt so immer wieder aufs Neue auf und der Weg durchs Leben führt zwangsläufig an neuen Impulsen vorbei. Gefahr besteht hier maximal, wenn die Zeit knapp wird, und wir uns mit wenig Aufmerksamkeit durch die Gesellschaft bewegen.
9. Gibt es ein Menschenbild, das Sie leitet, wenn Sie künstlerisch tätig sind oder schöpfen Sie ausschliesslich aus Ihrer Intuition?
Meine Arbeiten entstehen selten aus Intuition, sondern bauen auf der Wahrnehmung meines Erlebten auf. Meistens stehen Symbole im Hintergrund, die mich durch meine Arbeit leiten. Vielleicht ist die richtige Mischung aus Erfahrung, Erlebnis, Gelerntem und auch Intuition ein gesundes Rezept für meine Werke.
10. Zum Schluss möchte ich fragen, was ist die Triebfeder Ihrer künstlerischen Arbeit?
Das Handwerk künstlerischer Arbeit hat für mich nichts mit Befreiung oder Entspannung zu tun. Es ist für mich ein Ringen, ein Erforschen der Grenzen in allen Belangen meiner Tätigkeit. Entsprechend gibt es auch keine Schablone ‚Karin Thür’, sondern nur Vielseitigkeit und Werke mit dem Wert im Detail. Bei Vollendung meiner Arbeit, wenn sich die Spannung auflöst und man das Ziel vor Augen hat, kommt erst die Wirkung der Befreiung – aufkommende Glücksgefühle, die das Ende eines Prozesses einleiten, also die Geburt eines neuen Werkes.
Interview mit Gerhard Götze